Mittwoch, Januar 19, 2005

Unterwegs

17.01. 16:10 Flughafen Hamburg

Jetzt geht's los. Das Rad ist eingeckeckt, das Gepäck aufgegeben. Boardkarten bis Sydney in der Tasche - endlich der Moment, in dem eigentlich erstmal nichts mehr schiefgehen kann. Bis Sydney - in gut 24 Stunden gibt's nichts zu tun, als Warten, Lesen und in regelmäßigen Abständen aus Plastikschalen zu essen.

Natürlich war ich wie immer viel zu früh am Flughafen. Satte zwei Stunden rumsitzen und abwarten, bis der Schalter aufmacht. Ich werde wohl nie mehr zu den supercoolen gehören, die genau pünktlich auf den letzten Drücker kommen, nicht warten müssen und womöglich noch das Upgrade in die erste Klasse kriegen... das ist lässig - vermutlich aber auch bloß iene moderne Flughafen-Legende.

Jetzt erstmal in Ruhe warten, was kommt. Das Abschiedsbier schmeckt und ich hab endlich die richtige Mischung aus Entspannung und Kribbeln im Bauch - so muß das sein beim Aufbrucch.


17.01. 20:25 Flughafen London Heathrow

Jetzt weiß ich, was ich vergessen hab: Essen. Rechtzeitig etwas zu essen, draussen in der Welt, wo man noch eine Mahlzeit kaufen kann, ohne einen Kleinkredit aufnehmen zu müssen. Zu spät. Nach einem halbherzigen Milchbrötchen mit einer halben Portion "irgendwas" drauf im Flieger hat mich hier der Hunger heimtückisch erwischt. Die Waffe der Wahl war "Sandwich Pollo Verde". Ein entfernter Verwandter von einem Baguette mit Huhn drauf. Trocken wie die Wüste Gobi und in seiner Tristesse nur vorsichtig umspielt von einem Hauch Geschmack aus einer grünlichen Paste, die sporadisch im Brot verteilt war - gut, irgendwoher muß der Name "verde" ja auch kommen. Und das ganze zu Preisen aus dem zwielichtigen Unterhaltungsmilieu: ganz lange umgerechnete 16 De-Mark. Hatschipuh. "Zu meiner Zeit kriegte man dafür auch noch eine Krankenschwester zum Füttern", pflegt der Opa bei solchen Preisen zu sagen.
Da lob ich mir gegenüber O'Neills Pub. Da gibt's das Pint Bier für geradezu schlanke 2,80 Pfund, oder 5 Euro 60 oder elf De-Mark... gut, hat man früher in Bottrop Süd auch nur im Puff bezahlt, dafür schmeckt's und wird trotz des drumherum erbauten Flughafens an einer anständigen Pub-Theke serviert. Bloß rauchen darf man an der Theke nicht. Zu ärgerlich, sonst würd ich mir glatt noch ne Runde spendieren. Aber ohne rauchen ist doof und so werde ich gesünder und Mr. O'Neill wird an einem Pub nicht noch reicher.

Dieser Flughafen Heathrow ist im übrigen ein Hort der Verläßlichkeit und Erinnerung. Als ich vor Jahren auf dem Weg nach Kanada hier mal umgestiegen bin, hab ich von Terminal zu Terminal schon eine Himmelfahrt mit dem Bus absolviert. Wie tröstlich, dass die heutige Tour vollkommen identisch war. Aus dem Flieger erstmal durch alle Gänge und über alle Treppen, die das Gebäude zu bieten hat - die Hinweisschilder hat sicherlich jemand aufgestellt, der an den Überwachungskameras jeden Abend Tränen lacht, wenn die Passagierlemminge durch die Gänge torkeln. Dann geht's eine eindrucksvolle Rolltreppe runter und durch eine deutlich weniger eindrucksvolle Tür plötzlich raus auf die Straße.
Da wartet ein Bus, der an sich nichts gutes und nichts schlechtes verheißt, aber wenn der Fahrer derart hartnäckig vor sich hinflötet, wird man schon mißtrauisch und achtet genau drauf, ob er nicht irgendwann mal "Spiel mir das Lied vom Tod" pfeift. Zur Aussicht würde es jedenfalls passen: Eine Rundfahrt durch Europas größte Ausstellung für Baustellenfahrzeuge und ein paar Einblicke in die ekeligen Hinterhöfe eines Flughafens. Bei mancher Halle möchte man gar nicht wissen, was darin passiert, hofft nur, dass es sich einfach nur um längst vergessene Ecken des Geländes handelt, in denen die Untoten auf den jüngsten Tag warten. Vermutlich gibt es an jedem Flughafen solche weniger schönen Ecken. Nur während an jedem anderen Flughafen die Passagiere entweder per Monorail und U-Bahn-Wunderwerken drumherumkutschiert werden, oder der Abfall einfach zum pittoresken Charme des Landes gehört, wird man in Heathrow auch 15 Jahre nach meiner damaligen Tour immernoch mit dem Bus über die Baustelle gefahren. Nun will ich nicht ungerecht sein: Vermutlich ist es längst eine neue Baustelle - man soll den Leuten ja nicht unterstellen, sie wären faul. Aber was um alles in der Welt haben die in den letzten 15 Jahren gebaut, mit dem sie augenscheinlich immer noch nicht fertig sind....?
Aus solchen Überlegungen wird man gerissen, wenn eine freundliche Tonbandstimme im Bus kundtut, man erreiche jetzt Terminal 3. Daraufhin kurvt der Bus in eine finstere enge Gasse zwischen zwei Ziegelmauern und kommt zum Stillstand. Eifrige Fernsehzuschauer wissen, dass in solchen Gassen mit Abstand der größte Teil der Mafia-Morde passiert. Man steigt harmlos aus einem Bus aus, denkt, alles sei in bester Ordnung und in Wirklichkeit steht Robert De Niro im Nadelstreifenanzug draussen und erzählt einem, wie enttäuscht die Familie ist.
In London können sie sich nicht mal ein De Niro-Double leisten. Stattdessen lockt man die Passagiere durch eine unscheinbare Tür über der wie selbstgemalt "Terminal 3" steht, wieder durch finstere Gänge und Treppenhäuser, wieder durch eine Eisentür - und plötzlich steht man wieder in der gewohnten Flughafen-Welt aus Harrods-Imitations-Duty-Free-Läden und Sandwich-Buden, die halbe Brötchen zum Preis von Lokomotiven verkaufen. Ist schon lustig am Flughafen.
Mal sehen - drei Pfund hab ich noch. Für ein Pint würd's noch reichen. Der alte O'Neill soll ja auch nicht leben wie ein Hund.

18.01. Flughafen Hongkong.

Es ist 11 Uhr 30... nach meiner Uhr, die man nur mit Hilfe kunstvollen Kugelschreibergestochers umstellen kann, weswegen ich dieses Unternehmen erst für die endgültige Sydney-Zeit angehen werde. In "Wirklichkeit" ist es hald sieben - glaube ich. Wie soll man das so genau wissen, wenn man erst eine Stunde in die eine, dann eine Handvoll Stunden in die andere Richtung Zeitverschiebung hat. Jedenfalls ist es später als meine Uhr glaubt, ich bin also älter als ich wäre, wär ich zuhause geblieben - das ist hier alles nicht gut für meinen Teint.
Heute nacht, also eigentlich heute nachmittag...oder war's dann gestern nachmittag? Egal, jedenfalls im Flieger hab ich - während mein rechtes Bein einen qualvollen Krampftod unter dem Vordersitz erlitt - versucht abzuschätzen, wie ich am schlauesten schlafe, um dem Jetlag zu entkommen. Also eigentlich schon nach Sydney-Zeit schlafen, dann müßte dort die Umstellung.... darüber bin ich dann eingenickt. Ein wundervoller, erholungsfreier ein-Stunden-rhythmus-schlaf. Da hatte die Chinesin im Sitz neben mir offenbar mehr Routine. Kaum hingesetzt hat die sich in eine Decke gewickelt, im Sitz festgeschnallt und durchgeschlafen. Dafür hatte die aber auch 40 Zentimeter weniger Bein unterzubringen.
Im Anflug auf Hong Kong eine erfreuliche Nachricht: Ankunft am Gate 3, Weiterflug nach Sydney von Gate 3. Das hat mich zu der gewagten Annahme verführt, es könne nicht viel Fußweg vom Aussteigen zum Einsteigen sein. Am Ausgang stand denn auch gleich ein Chinese als Auskunft für Menschen mit Anschlußflügen. Freundlich zeigt der Mann in die gleiche Richtung wie das Schild hinter ihm - die einzige Richtung, in die es überhaupt geht. Es folgen einige hundert Meter Fußweg und man denkt schon: "kleingläubiger Europäer, was verleitet Dich zu der Annahme, es gebe nur ein Gate 3. Vielleicht lehrt der Buddha ja, die ganze Wlet sei ein Gate 3"... Wieder falsch. Nach ein paar hundert Metern Fußmarsch geht es scharf links herum, durch die siebzehnte elektronische Handgepäckkontrolle (für einen Moment glaubten die Kollegen, endlich die ersehnte Nagelschere in meinem Rucksack entdeckt zu haben) und denselben Weg wieder zurück, nur eine Etage höher. Die Verkehrsführung haben sie aus Heathrow importiert...
Und noch eine Enttäuschung: Am Check-In stehen drei Mönche vor mir in der Schlange. Menschen, die von Buddha, der Erleuchtung oder sonst irgendwelchen Heiligen den Weg gewiesen bekommen, und nicht wie die hier von einem Mini-Kompass in ihrem Teleskop-Wanderstab. Nordic Walking auf dem Weg der Erkenntnis...